Ein aktueller Artikel der Süddeutschen Zeitung befasst sich mit der Lage des Marktes für CO₂-Kompensation und beleuchtet die Schwierigkeiten, mit denen Anbieter und Verbraucher konfrontiert sind. Die Autorinnen Lea Hampel und Sonja Salzburger zeigen, warum das Vertrauen in den Markt schwindet und welche strukturellen Herausforderungen es gibt.
Die Idee der CO₂-Kompensation und ihre Grenzen
Das Prinzip der CO₂-Kompensation ist seit Jahrzehnten bekannt: Unternehmen und Privatpersonen können ihre unvermeidbaren Emissionen ausgleichen, indem sie in Klimaschutzprojekte investieren, die CO₂-Emissionen einsparen oder binden sollen. Doch während der Markt lange wuchs, ist er inzwischen stark unter Druck geraten. Zwischen 2022 und 2023 schrumpfte das weltweite Handelsvolumen von 1,9 Milliarden auf nur noch 723 Millionen US-Dollar – ein drastischer Einbruch, der das schwindende Vertrauen verdeutlicht.
Die Kritik an der Kompensation ist nicht neu. Seit ihrer Entstehung steht sie unter dem Verdacht, eine Art „moderner Ablasshandel“ zu sein, der es Unternehmen und Individuen ermöglicht, ihr Verhalten nicht zu ändern, sondern lediglich ihre Emissionen finanziell auszugleichen. Tatsächlich zeigt eine Studie unter 64.000 Flugbuchungen einer schweizerischen Airline, dass über 90 Prozent der Fluggäste keine CO₂-Kompensation nutzen – trotz expliziter Angebote während des Buchungsprozesses. Das geringe Interesse kann mehrere Gründe haben: Zum einen fehlt oft das Bewusstsein oder die Bereitschaft, zusätzlich Geld für eine abstrakte Umweltleistung zu zahlen. Zum anderen könnte das Misstrauen in die Wirksamkeit der Projekte eine Rolle spielen.
Mangelnde Transparenz und problematische Mechanismen
Ein zentrales Problem ist die fehlende Transparenz vieler Kompensationsprojekte. Eine Untersuchung des Guardian kam zu dem Ergebnis, dass 90 Prozent der untersuchten Regenwaldprojekte als „wertlos“ betrachtet werden können. Eine weitere Studie des Max-Planck-Instituts zeigte, dass nur 16 Prozent der geprüften Zertifikate tatsächlich zu einer nachweisbaren Emissionsreduktion führten. Zudem werden Gelder teilweise in Projekte investiert, die auch ohne zusätzliche Finanzierung realisiert worden wären – etwa Windparks oder bestehende Waldflächen, die dann als CO₂-Senken vermarktet werden.
Ein weiteres strukturelles Problem ist die sogenannte Doppelzählung: Viele CO₂-Kompensationsprojekte befinden sich in Schwellenländern, die inzwischen eigene Klimabeiträge im Rahmen des Pariser Abkommens leisten müssen. Wenn dort Emissionen reduziert werden, könnten diese sowohl vom Land selbst als auch vom Kompensationskäufer angerechnet werden. Ohne klare Absprachen führt dies dazu, dass die globale Emissionsminderung in der Realität geringer ausfällt als auf dem Papier. Während einige Anbieter wie Atmosfair entsprechende Vereinbarungen getroffen haben, verzichtet MyClimate bewusst auf den Begriff „Kompensation“ und spricht stattdessen von „Klimabeiträgen“.
Ein sinnvoller Weg für CO₂-Kompensation?
Prof. Dr. Harald Zeiss, Experte für nachhaltigen Tourismus, wurde in dem Artikel als Interviewpartner einbezogen. Er betont, dass CO₂-Kompensation zwar weiterhin eine Rolle spielen kann, aber nur als ergänzende Maßnahme. Priorität müsse immer die Vermeidung von Emissionen haben. In seinem eigenen Alltag setzt er dies konsequent um. Kritisch sieht er jedoch die aktuellen Entwicklungen in der Branche. Die Abkehr vom Begriff „Kompensation“ hält er für problematisch, da dies wenig zur Lösung der eigentlichen Probleme beitrage. Wichtiger sei eine bessere Kontrolle und mehr Transparenz, um seriöse Anbieter von fragwürdigen Projekten zu unterscheiden.
Als eine mögliche Lösung wird in dem Artikel eine unabhängige Behörde oder Stiftung diskutiert, die Anbieter von Kompensationen streng überprüft und verbindliche Standards setzt. Eine solche Institution könnte gewährleisten, dass nur wirklich wirksame Projekte zertifiziert werden und Verbrauchern eine verlässliche Orientierungshilfe bieten. Prof. Zeiss hält es für denkbar, dass das Umweltbundesamt oder eine vergleichbare staatliche Stelle diese Rolle übernehmen könnte.
Wie geht es weiter?
Der Markt für CO₂-Kompensation steht vor großen Herausforderungen. Während das Konzept in der Theorie eine Möglichkeit bietet, Klimaschutzmaßnahmen zu finanzieren, bestehen erhebliche Zweifel an der tatsächlichen Wirkung vieler Projekte. Fehlende Transparenz, unzureichende Standards und strukturelle Probleme erschweren es Verbrauchern, seriöse Anbieter zu erkennen.
Um das Vertrauen in CO₂-Kompensation wiederherzustellen, sind klare Regeln und unabhängige Kontrollen notwendig. Ohne diese Reformen bleibt die Gefahr bestehen, dass der Markt weiter an Glaubwürdigkeit verliert – und damit eine potenziell sinnvolle Klimaschutzmaßnahme unter Generalverdacht gerät.
Der vollständige Artikel ist hier zu finden.